Das ist Kirche

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„Er ist gestorben.“ Die Krankenschwester spricht langsam und sanft, als ob sie so die Wahrheit in Karens Herz lindern wollte. Doch die Wahrheit schlägt ein wie eine Rakete und hinterlässt Schock und Verlassenheit. Karen fühlt sich von der Realität zurückgestoßen und in einem schmerzvollen Dämmerzustand versetzt. Dann holt sie die freundschaftliche Berührung von Anns Hand in die Wirklichkeit zurück. Jeffs feste Umarmung umgibt sie mit Stärke. Die Worte, die Jenny flüstert, erinnern sie daran, dass sie nicht alleine ist. Die Tränen in Davids Augen helfen ihr, ihre eigenen Tränen zu finden.

Über zwei Jahre lang haben sich Tim und Karen mit viel Zeit, Energie und Liebe um jedes einzelne Mitglied der Kleingruppe gekümmert, die sie gemeinsam leiten. Nun kommt die Liebe zurück und lindert den schneidenden Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen.

Das ist Kirche.

Neunundzwanzig Jahre alt und eine Million wert. Auf geradem Weg an die Spitze gelangt. Dann begegnet der junge Geschäftsmann Jesus. „Leg die Karten auf den Tisch“, sagt der Erlöser. „Leg dein Geld dahin, wo auch dein Mund ist.“

Es ist Dezember. Zeit der Grundsteinlegung. Der reiche junge Geschäftsmann starrt auf die Bühne des überfüllten, heruntergekommenen Kinos, das diese junge Gemeinschaft ihre Heimat nennt. Er rutscht auf seinem schmutzigen Sitz hin und her und zertritt dabei ein weiteres Popcorn mit seinem Absatz.

„Leg die Karten auf den Tisch“, sagt der Erlöser. Der reiche junge Geschäftsmann steckt seine Hand in die Tasche seines Cordmantels und tastet behutsam nach dem kleinen Papier, das seinen Geschäftserfolg dokumentiert. Als der Korb für die Spenden herumgereicht wird, lässt er sorgfältig einen Scheck unter den Haufen zerknitterter Scheine gleiten, der das Ende seines ganzen Vermögens bedeutet.

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Angie biegt auf den Parkplatz ein wie jeden Montagabend, aber an diesem Abend fährt sie an ihrem üblichen Parkplatz vorbei und stellt ihr Auto an der Werkstatt im hinteren Bereich des Gemeindegeländes ab. Als sie zurück zum Gemeindegebäude läuft, dankt sie Gott im Stillen wieder einmal für die Mechaniker, die am Montagabend ihre Zeit freiwillig zur Verfügung stellen. Während Angie an der Gruppe für alleinerziehende Mütter teilnimmt und ihre Tochter die Gruppe für Scheidungskinder besucht, bringt ein ölverschmierter Held, mit dem Rücken auf dem Betonboden liegend, ihr Auto wieder in Ordnung.

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„Es geht hier nicht um Sport. Es geht hier um die Reise eines Menschen zum Glauben.“ Nachdem das Thema klar ist, beginnt die Diskussion. Die vielen Tausend Menschen, die zu den zahlreichen Gottesdiensten an diesem Wochenende gekommen sind, hören Mike Singletary, den ehemaligen Linienspieler der Chicago Bears, ganz offen über Familie, Glaube und Vergebung sprechen.

Das Publikum ist gemischt. Manche sind zum ersten Mal als Besucher in dieser Gemeinde, die meisten von ihnen wurden von einem Freund oder Verwandten eingeladen, der regelmäßig hier ist. Einige von ihnen wurden zuvor schon wiederholt eingeladen, aber erst die Bewunderung für Mike konnte ihren Widerstand brechen.

Nach dem Gottesdienst schickte ein Mädchen dem Gemeindebüro eine kurze Notiz: „Ich versuche seit Jahren, meinen Vater zum Gottesdienst zu bringen, aber er wollte nie mitkommen – bis ich ihm sagte, dass Mike Singletary sprechen würde. Er hat wirklich bei dem zugehört, was Mike über das Christsein sagte. Danach hatten wir ein gutes Gespräch und er sagte, dass er wiederkommen wolle. Ich kann es kaum glauben. Danke!“

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Erdnussbutter. Spaghetti. Bohnen. Milchpulver. Kaffee. Mehl. Suppe. Doseneintopf. Windeln. Haarwaschmittel. Zahnpasta. Sue geht ihre Einkaufsliste durch und kauft von jedem Artikel drei Stück. Der Mann an der Kasse macht eine Bemerkung über ihren Dreifachkauf, aber Sue lacht nur.

Am Sonntag packt Sue ihre Einkaufstüten in große Plastiktüten und lässt diese auf dem Gehsteig hinter ihrem Auto stehen, während sie den Gottesdienst besucht. Während des Gottesdienstes laden Freiwillige Tausende dieser schwarzen Tüten auf Lastwagen und bringen sie zur Armenküche, die jeden Monat Hunderte von bedürftigen Menschen versorgt.

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Der junge Mann weint, als er die Geschichte einer Kindesmisshandlung erfährt, die das Opfer, seine Frau, fünfzehn Jahre lang aus dem Gedächtnis verdrängt und im Unterbewusstsein mit sich herumgetragen hat. Aber nun kommen die Erinnerungen an die Oberfläche, sie verfolgen sie, stören die Ruhe des Hauses und gefährden ihre Ehe. Beide, Mann und Frau, sind Leiter in der Gemeinde, sie bekleiden verantwortungsvolle Posten in der Öffentlichkeit, aber jetzt fühlen sie sich hilflos, erschöpft und voller Angst.

Der Ehemann sitzt alleine mitten im Kreis von Leuten, die Verantwortung tragen wie er. Als er seine Geschichte zu Ende erzählt hat, steht ein Mann auf und legt seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes. Ein anderer fasst seinen Arm. Eine Frau hält seine Hand in ihrer. Bald ist er in einer gemeinschaftlichen Umarmung geborgen. Ruhig fangen seine Freunde an zu beten und fast eine Stunde lang gehen ihre Worte für ihn, seine Frau und seine Ehe direkt in den Himmel.

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„Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. … Wer aber zu ihm sagt: Du gottloser Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein. Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.“ (Mt 5, 22-24)

„Ihr wisst, was diese Worte bedeuten“, sagt der Pastor, „aber seid ihr auch bereit, danach zu handeln? Bitte kommt nicht zum Abendmahl, wenn ihr Dinge habt, die vorher erledigt werden müssen.“ Noch während er spricht, kommt Bewegung in den Zuschauerraum. Innerhalb weniger Minuten haben Hunderte von Menschen ihren Platz verlassen. Einige gehen zum Telefon. Andere treffen sich in leeren Gemeinderäumen. Einige gehen heim. Das Werk der Versöhnung hat begonnen.

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„Ich taufe euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Dale und Ellen haben schon ein etwas reiferes Lebensalter, aber als sie aus dem eisigen Wasser des Teiches wieder auftauchen, scheinen sie Kinder zu sein. Und in einem gewissen Sinne sind sie das auch. Sie wissen, dass sie vom Glauben her bloß Babys, höchstens Kleinkinder sind.

Aber sehr glückliche Kleinkinder. Und sie machen schon einen richtigen Wirbel. Auf dem grasbedeckten Hügel gibt es Applaus und Beifallsrufe, ein überschäumendes Freudenfest. Ihre Kleingruppenleiter lachen so sehr, dass ihnen die Tränen kommen. Ihre Tochter läuft herbei, um ihnen mit ungestümen Umarmungen zu gratulieren und warme Handtücher umzulegen. Ihre kirchendistanzierten Nachbarn sind etwas durcheinander, aber erfreut, dass sie ihre langjährigen Freunde so glücklich sehen. Es ist eine Feier, dass die himmlischen Kronleuchter wackeln.

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„Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten. Alle wurden von Furcht ergriffen; denn durch die Apostel geschahen viele Wunder und Zeichen. Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinde hinzu, die gerettet werden sollten.“ (Apg 2, 42-47)

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[1] Lynne & Bill Hybels, Ins Kino gegangen und Gott getroffen. Die Geschichte von Willow Creek, Wiesbaden 1996, 9 – 12.